Wenn heute an einer Schule durch Pensionierung oder Weggang eine Lehrerstelle frei wird, spielt sich die Neubesetzung ausschließlich zwischen dem Rektorat und der zuständigen Landesbehörde ab. In der Kaiserzeit bis 1918 war dies in Preußen, zu dem ein großer Teil des Saarlandes gehörte, anders - wie aus den abgedruckten Stellenausschreibungen zu schließen ist.
Stellenausschreibungen
Ein solche Ausschreibung erfolgte durch den Bürgermeister im Amtlichen Schulblatt oder in einer verbreiteten pädagogischen Zeitschrift. Interessierte Lehrer konnten sich bewerben und mit anderen in Konkurrenz treten. Die Auswahl traf dann die örtliche "Schuldeputation", ein Gremium, dem außer dem Bürgermeister, dem zuständigen Pfarrer und dem Rektor der Schule noch Vertreter der Bürger und des Lehrerkollegiums angehörten.
In allen Stellenanzeigen finden wir Angaben über das Einkommen. Das hat seinen Grund darin, daß es Unterschiede in der Besoldung je nach Schulort und Schulgröße gab; auch der Wohngeldzuschuß differierte von Gemeinde zu Gemeinde. So weisen gleichzeitig erschienene Anzeigen für die katholische Schule Obertal ein Grundgehalt von 1200 Mark und für Welschbach 1380 Mark aus. In Welschbach wurde statt des Wohngeldes eine kostenlose Dienstwohnung angeboten.
Deutliche Unterschiede in der Besoldung gab es zwischen Lehrerinnen und Lehrern. Während 1909 in der Ottweiler Ausschreibung für einen Lehrer 1400 Mark Grundgehalt, 180 Mark Alterszulage und 300 Mark Wohngeld geboten wurden, sind die entsprechenden Sätze für eine Lehrerin in dieser Zeit 1000 Mark, 100 Mark und 180 Mark; bis 1914 war die Mietentschädigung für Lehrerinnen auf 350 Mark angestiegen, während sie für Lehrer 500 Mark betragen konnte. Alle Beträge sind Jahresangaben. Das daraus resultierende Monatsgehalt einer Lehrerin von wenig über 100 Mark war nicht üppig, wenn man bedenkt, daß für ein Brot ca. 60 Pfennig, für 10 Eier ca. 1 Mark für 1 Pfund Butter ca. 1.40 Mark und 1 Pfund Suppenfleisch ca. 1 Mark zu zahlen waren.
Die deutlich niedrigere Einstufung der Lehrerinnen hängt u. a. damit zusammen, daß sie unverheiratet zu sein hatten. Erst 1920 wurde der Satz "... daß im Falle der Verheiratung die Anstellungsfähigkeit erlischt" aus der Anstellungsurkunde gestrichen.
Da in jener Zeit durch die Industrialisierung die Bevölkerung stark zunahm und mit ihr auch die Schülerzahlen, gab es eine gesteigerte Nachfrage nach Lehrern. Um die Attraktivität eines Ortes herauszustreichen, wies man in den Anzeigen auf besondere lokale Angebote hin; Ottweiler vermerkt die Bahnstation und das Lehrerseminar, Völklingen beispielsweise wirbt mit einem Realgymnasium, einer höheren Mädchenschule und der guten Bahnverbindung nach Saarbücken, auch Neunkirchen nennt seine Bahnstation, seine höheren Schulen und will einen Teil der Umzugskosten vergüten.
Es ist eigentlich erstaunlich, daß in der Zeit der Monarchie die Besetzung von Lehrerstellen mehr demokratische Elemente enthielt, als in der heutigen Demokratie.
Seit dem Mittelalter gehört die Tinte zum Betrieb der Schule. Heute ist es kaum noch vorstellbar, daß Tinte für Schüler und Lehrer einmal eine problematische Flüssigkeit gewesen sein soll. Doch wenn man bedenkt, daß es eine Zeit gab ohne Tintenkiller oder wirksame Waschmittel, um Kleckse und Flecken zu entfernen, daß sich die Leute nach irgendwelchen Rezepten ihre Tinte selbst mixen mußten, daß das, was dabei herauskam oft aggressiv oder giftig war, gewinnt man eine Ahnung davon, daß der Umgang mit der Schreibflüssigkeit früher nicht harmlos gewesen ist.
Noch vor hundert Jahren, als in Deutschland Kaiser Wilhelm II. regierte, wurde der Tinte im schulischen Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit zuteil.
Inserat Duve's Schultinten
Das Inserat zu Duve`s Schultinten zeigt, was eine gute Tinte zu bieten hatte: Die Pulverform bot ein geringes Transportgewicht und ermöglichte eine problemlose Lagerung, Wasser als Lösungsmittel war jederzeit verfügbar und billig; der Hinweis auf die übrigen guten Eigenschaften läßt vermuten, daß diese nicht bei allen Tinten anzutreffen waren.
Inserat Füllflasche
In der Schule der Kaiserzeit standen Schreibübungen fast täglich auf dem Stundenplan der Volksschulen. Der Tintenverbrauch war erheblich; ständig mußten die kleinen Porzellangefäße, die zu jeder Schulbank gehörten, aufgefüllt werden. Damit dies möglichst ohne Vergießen erfolgte, gab es spezielle Ausgießer für die Tintenflaschen oder man leistete sich "Hartmanns Füllflasche". Für manche Schüler boten die Tintengefäße immer wieder eine Herausforderung zum Experiment: Ein paar Bröckchen Schulkreide hinein - hervor quoll blauer Schaum, beim Nachsitzen einem unbeliebten Mitschüler ganz klein gerissene Löschblattschnipsel in die Tinte - bei der nächsten Schreibübung blieb garantiert ein Fussel an seiner Federspitze, der einen Klecks verursachte.
In Preußen hatte Ordnung zu herrschen. Deshalb wurden schon 1888 in einem Erlaß grundsätzliche Regelungen für die gewerbsmäßige Tintenherstellung verordnet. 1912 wurde eine amtliche Tintenprüfung mit genauen Richtlinien eingeführt. Diese beginnen: "Die Tinten werden eingeteilt in Urkundentinten (früher Klasse I) und Schreibtinten. Bei letzteren werden unterschieden a) Eisengallusschreibtinten, b) Blauholz- und Farbstoffschreibtinten ..." Eine zu prüfende Eigenschaft lautete: "Die Tinten sollen mindestens vierzehntägige Haltbarkeit im Glase besitzen, d.h. sie sollen nach dieser Zeit weder Blätterbildung noch Wandbeschlag, noch Bodenbelag zeigen."
Um die stählerne Schreibfeder vor Rost zu schützen, gehörte ein Tintenläppchen in jeden Griffelkasten; nach dem Schreiben sollte damit restliche Tinte von der Feder geputzt werden.
Eine neue Tintenzeit brach in der Schule erst an, als später zunehmend Füllfederhalter bei Schülern in Gebrauch kamen. Nachdem ab den sechziger Jahren die alten Schulbänke mit schräger Schreibplatte durch Schultische mit Stühlen ersetzt wurden, hatten auch die eingelassenen Tintengefäße aus Porzellan endgültig ausgedient.
Mit der Verbesserung des Schreibgeräts war nicht zwangsläufig eine Verbesserung der Schülerhandschrift verbunden.
Tintenrezept
Auf einem Genregemälde von F. Sonderland vom Ende des 19. Jahrhunderts ist eine Gruppe von 3 Schülern dargestellt, die der Lehrer zum Nachsitzen im Klassenzimmer eingesperrt hatte. Als der Pädagoge die Tür öffnet, um die Missetäter in die Freiheit zu entlassen, sieht er, daß nur einer der Jungen in ein Buch schaut, der andere vertreibt sich die Zeit mit dem Versuch, der Lehrergeige Töne zu entlocken, während der dritte mit der Lehrerpfeife Übungen in der Kunst des Rauchens durchführt.
Das Thema "Rauchen durch Schüler" muß damals sehr aktuell gewesen sein, denn es ist immer wieder in Bildern, Zeitungswitzen und den beliebten Bildergeschichten aufgegriffen worden.
Tabakscollegium in der Dorfschule
Ein pädagogisches Handbuch aus dem Jahre 1873 widmet dem Tabakrauchen als Thema in der Schule einen umfangreichen Artikel. Darin wird argumentiert, daß alle Verbote bisher wenig genutzt hätten, wirksamer seien die Vorbilder. "Rauchende Lehrer sind immer auch Rauchlehrer für ihre Schüler." Der Verfasser ruft "die durch Bildung und Stellung maß- und tonangebenden Männer zum Besten der Jugend auf, ihre Cigarre, den kleinen, aber unwürdigen Liebling, auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern". Ob der patriotische Appell viel genützt hat? Es scheint nicht, denn auch die Staatsgewalt hebt in der Folge ab und zu den pädagogischen Zeigefinger und versucht, gegen das Rauchen der Jugend vorzugehen. Schon 1856 hatte Preußen ein Rauchverbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren erlassen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesellte sich zu Pfeife und Zigarre die Zigarette - die erste Zigarettenfabrik in Deutschland begann 1862 mit ihrer Produktion. Bis zur Jahrhundertwende scheint neben der beim Vater entwendeten Zigarre und Großvaters Pfeife nun auch die Zigarette zum Versuchsobjekt für Schüler geworden zu sein. Eine Verfügung des Regierungspräsidiums in Trier vom 7. 4. 1915 lautet: "Da sich das Zigarettenrauchen der Schuljugend trotz der Gegenmaßnahmen der letzten Jahre wieder sehr bemerkbar macht, so ersuchen wir die Kreisschulinspektoren, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln erneut gegen die Unsitte einzuschreiten."
Lehrer und Obrigkeit konnten damals im Kampf gegen das Rauchen mit einem Bundesgenossen rechnen, den der Biologe Otto Schmeil in seinen Lebenserinnerungen folgendermaßen beschreibt: "Es gehörte dazu etwas Geld, das bei den Meisten knapp war, so daß die Unsitte nicht zu oft wiederholt werden konnte; aber dieser oder jener brachte doch einige Zigaretten herbei und lud seine Freunde ein, an dem erträumten Genuß teilzunehmen."
Das Laster mit dem Knaster - ein Dauerbrenner
Mit dem enormen Bevölkerungswachstum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs auch das Schulsystem, und die Schule wurde zunehmend von der Wirtschaft als Konsument entdeckt. Während bis dahin das örtliche Gewerbe für den nötigen Bedarf aufkam, der Dorfschreiner beispielsweise die erforderlichen Schulbänke nach den Angaben des Lehrers herstellte, entstand nun eine eigene Industrie, die mit Hilfe neuer Transportmöglichkeiten - vor allem der Eisenbahn - ihre Erzeugnisse weiträumig liefern konnte. Auch der Fortschritt in der Schule, die Entwicklung neuer Lehrmittel und Unterrichtshilfen, bereicherte den pädagogischen Markt und beflügelte die Lehrmittelindustrie. Es wurde notwendig, die Produkte vorzustellen und anzupreisen. Das erfolgte überwiegend in Zeitungsinseraten. Diese ermöglichen uns heute interessante Einblicke ins Innenleben der Schule von damals.
Inserat Trierische Lehrmittelanstalt
Im Laufe des 19. Jahrhunderts verdrängten zunehmend Eisenöfen die gemauerten Kachelöfen aus den Schulstuben. In unserem Gebiet fand schon früh die Kohle zum Heizen Verwendung, in waldreichen ländlichen Regionen diente dagegen noch lange das Holz als Brennstoff in der Schule. So wird auch folgende Verfügung im Amtlichen Schulblatt von 1912 verständlich: "Es ist darauf hinzuweisen, daß das Aufbewahren des Schulholzes auf dem Schulspeicher bei Ausbruch von Feuer eine große Gefahr bedeutet. Eure Hochwohlgeboren ersuchen wir daher ergebenst, durch Nachfrage bei den Bürgermeistern festzustellen, wo die genannte Unsitte noch herrscht und dann dafür Sorge zu tragen, daß sie beseitigt wird."
Inserat Schulofen
Zu jedem Schulofen gehörte ein Ofenschirm, um die in der Nähe sitzenden Schüler vor der Strahlungswärme zu schützen.
Inserat Pfeife/Tabak
Wenn das Tabakinserat in einer pädagogischen Zeitschrift den Kreisschulinspektor Lichthorn zitiert und eine lange Pfeife im Bild zeigt, sind die Adressaten der Werbung leicht zu erraten: die Volksschullehrer. Die Pfeife mit dem langen Pfeifenrohr und dem Porzellankopf war eine Art Statussymbol für diese Berufsgruppe. Ähnlich wie die Reservistenpfeife für Rekruten, die ihren Wehrdienst absolviert hatten, gab es die Seminaristenpfeife, die nach bestandener Lehrerprüfung den Abgang vom Lehrerseminar und die neue Würde besiegelte. Schon 1839 war durch königlichen Erlaß das Tabakrauchen der Lehrer während des Unterrichts verboten worden, außerhalb der Unterrichtszeit war das Beruhigungsmittel unter Lehrern aber sehr verbreitet. In zahlreichen Genrebildern der Zeit bis zum 1. Weltkrieg sind Lehrer mit der Pfeife dargestellt; auch Wilhelm Busch läßt die von Max und Moritz mit Pulver präparierte Pfeife Lehrer Lämpels explodieren.
Inserat Spucknapf
Die Trierische Lehrmittelanstalt bot als Sonderangebot einen Spucknapf an. Was hat ein solches Gerät mit der Schule zu tun? Noch in der "Schul- und Lehrordnung" von 1917 für die bayerisch-pfälzischen Volksschulen - im heutigen Saarland etwa das Gebiet des Saar-Pfalz-Kreises - wird unter den notwendigen Einrichtungsgegenständen der Schulzimmer neben Waschschüssel und Handtuch auch der Spucknapf genannt. Dieser konnte aus Keramik oder emailliertem Blech sein, wurde mit Sand oder Wasser gefüllt und diente vor allem den Lehrern, aber auch den Schülern, überschüssigen Speichel einigermaßen hygienisch zu entsorgen. Bevor solche Spucknäpfe für den Klassenraum empfohlen und dann vorgeschrieben wurden, spuckte man einfach auf den Boden - und dies recht ausgiebig, denn noch aus früheren Jahrhunderten herrschte die Meinung, daß das Verschlucken des Speichels ungesund sei.
Es soll Lehrer gegeben haben, die es beim Spucken zu besonderer Kunstfertigkeit gebracht und aus einigen Metern Entfernung vom Pult aus den Spucknapf sicher getroffen haben.
Ein berühmter Erlaß Wilhelms II. beginnt:
Berlin, den 18. Oktober 1890"
Seine Majestät der König haben am 1. Mai 1889 nachstehende allerhöchste Ordre an das Staatsministerium zu erlassen geruht: Schon längere Zeit hat mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in ihren einzelnen Abstufungen nutzbar zu machen, um der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken. In erster Linie wird die Schule durch Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterlande die Grundlage für eine gesunde Auffassung ... zu legen haben..."
In den Ausführungsbestimmungen zu diesem Erlaß heißt es: "Das deutsche Volk, insbesondere die Bürger des preußischen Staates, genießen das hohe Glück, ein Vaterland, ein Herrscherhaus zu besitzen, auf dessen Geschichte sie stolz sein dürfen... Deshalb sollen sämtliche preußische Könige in dem Unterrichte der preußischen Jugend eine hervorragende Stelle erhalten ..."
Für den bayerischen Teil unserer Region lautet ein vergleichbarer Abschnitt im Lehrplan: "Der Hinweis auf die Liebe und Treue, welche das Bayerische Volk mit dem Haus Wittelsbach seit Jahrhunderten verknüpft, wird nicht verfehlen, die Liebe zum angestammten Herrscherhause und die Anhänglichkeit an den regierenden Fürsten in den Herzen der Jugend zu beleben und zu kräftigen."
Diese Belebung fand nicht nur im Geschichtsunterricht statt, auch der Deutschunterricht mit entsprechenden Lesetexten und Gedichten sowie der Musikunterricht mit der Pflege von vaterländischem Liedgut leisteten ihren Beitrag. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren auch die festlichen Aktionen, die zu besonderen Anlässen den trockenen Schulalltag durchbrachen. Die Inserate zum Regierungsjubiläum Wilhelms II. im Jahre 1913 vermitteln einen Eindruck von dem Personenkult, der in den Schulen gepflegt worden ist.
Inserat 'Heilige Flamme'
Um den offiziellen Charakter solcher Schulveranstaltungen zu betonen, bestimmte ein preußischer Erlaß von 1906 "....daß zu den von uns angeordneten oder genehmigten Schulfeiern die Ortsschulbehörde, in Kreisstädten auch der Landrat und der Kreisschulinspektor in Zukunft 5 Tage vor der betreffenden Feier von den Schulleitern einzuladen sind."
Es ist unbestritten, daß alle diese Erfahrungen nicht nur zu einem einseitig akzentuierten Wissen, sondern auch zu grundlegenden Einstellungen in der Breite der Bevölkerung führten, die zu den verhängnisvollen Entwicklungen in der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert beigetragen haben.
Inserat 'Zu Kaisers Geburtstag'
Die Auswirkungen eines Krieges auf die Schule sind immer vielfältig und tiefgreifend; auch der 1. Weltkrieg von 1914 – 1918 hat die Schule in Deutschland nicht unberührt gelassen.
Mit Beginn des Krieges waren zahlreiche Lehrer zu den Fahnen gerufen worden; schon nach den ersten sechs Kriegswochen wurden 16 von ihnen aus dem heutigen Saarland als gefallen betrauert. Eine Verfügung der Regierung an die Schulinspektoren vom 19. 8. 1914 wirft ein Schlaglicht auf die Situation: "Zwar werden zur Vertretung der im Heeresdienst befindlichen Lehrer auch verfügbare Schulamtsbewerber, geeignete emeritierte Lehrkräfte und Schulamtsbewerberinnen heranzuziehen sein, auch wird unter Umständen Halbtags-, in dringenden Notlagen auch Dritteltagsunterricht eingerichtet werden können. Gleichwohl wird umfangreiche, dazu häufig durch Zusammenlegung von Klassen erschwerte Vertretung zu leisten sein. Hinzu kommt, daß unter der Schuljugend zurzeit viele der erziehlichen Leitung des Familienvaters entbehren. Daraus ergibt sich die dringende vaterländische Pflicht aller Lehrer und Lehrerinnen, sich der Aufrechterhaltung ernster Zucht ....noch mehr als bisher anzunehmen..."
Zugleich ist man bestrebt, das Nationalgefühl zu stärken.
Inserat 'Heldenkaiser'
Auf einem neuen Schulwandbild wird Wilhelm II. zum Heldenkaiser, ergänzende Texte zu den Lesebüchern werden angeboten wie z.B. "Sturm und Sieg! Vaterländische Gedichte", "Vaterland. Kriegsballaden", "Kriegslieder von Detlev von Liliencron" oder "Vaterländische Theaterstücke".
Inserat 'Kriegslesestücke'
1915 beschäftigt sich eine Verordnung mit dem Umstand, "daß aus Anlaß herzerhebender Siegesnachrichten nicht in allen höheren Schulen derselben Stadt der Unterricht ausgesetzt ist". Es wird den Rektoren nahegelegt, solche Maßnahmen zukünftig zu koordinieren. Eine andere Verfügung von 1915 widmet sich der Führung der Schulchronik während der Kriegszeit; sie soll "in dieser großen Zeit" besonders sorgfältig vom Lehrer geführt werden. "Es ist in derselben eine Schilderung aufzunehmen der gesamten Einwirkung, die der Krieg auf das Leben und Treiben in der Schulgemeinde ausgelöst hat: Eindruck der Mobilmachung und Kriegserklärung, Tätigkeit der Ortsbehörden, der Kirche, der Krieger, Sieges- und Gedächtnisfeiern; Handel und Verkehr während der Kriegszeit, besondere Einrichtungen zur Erhaltung einer straffen Zucht und zur körperlichen Ertüchtigung unter der Schuljugend; Benützung der Schulräume, Plätze und Geräte zu Kriegszwecken; freiwillige Tätigkeit für Verwundete, Liebesgaben; Schilderungen besonderer Heldentaten; einzutragen sind die Namen der den Heldentod Gestorbenen und besonders schwer Verwundeten...."
An den Patriotismus und die Opferwilligkeit der Lehrer wird appelliert, freiwillig Mehrarbeit zu übernehmen. Solche Mehrarbeit bestand nicht nur in der Vertretung Kriegsdienst leistender Kollegen, sondern auch in kriegsbedingten Sonderaktionen wie beispielsweise der Schweinezählung, "...wird auch an Volksschullehrer das Ersuchen gerichtet, sich an dem Zählgeschäft zu beteiligen." Die Lehrerschaft wird mehrfach aufgefordert, bei der Werbung für die Kriegsanleihe mitzuwirken: "Immer wieder muß betont werden, daß es ganz besonders Aufgabe des Lehrers ist, persönlich von Haus zu Haus auf jede einzelne Familie einzuwirken" (Aufruf des Regierungspräsidenten, März 1917).
Inserat Kriegsanleihe
Mit der Dauer des Krieges werden immer neue Sparmaßnahmen angeordnet. Um den Papierverbrauch zu reduzieren, soll die Zahl der Hefte auf das unbedingt Notwendige beschränkt werden. Die Verwendung von "Stauböl" für die Pflege der Fußböden in den Klassenräumen wird verboten; die Schulen sollen es dulden, daß Schüler im Sommer barfuß zum Unterricht kommen, um Leder zu sparen; außerdem soll "auf die Zweckmäßigkeit des Tragens von Schuhwerk mit Holzsohlen" hingewiesen werde. In Schulen, die noch nicht über eine elektrische Beleuchtung verfügen, soll der Petroleumverbrauch eingeschränkt werden. Auch Kleiderstoff kann eingespart werden durch Ignorieren der übertrieben faltenreichen neuen Mode; deshalb sollen "in allen Schulen für die weibliche Jugend eindringlich Belehrungen über die schädlichen Wirkungen dieser Mode in wirtschaftlicher und nationaler Beziehung erteilt werden."
Für die Schüler ergeben sich einschneidende Änderungen im Schulbetrieb und in ihrer Freizeit. Es beginnt recht harmlos. Schon Ende 1914 lockern Verordnungen die Richtlinien für die Beurlaubung von Schülern zur Einbringung der Kartoffelernte, zur Feldbestellung und zum Viehhüten. Schulklassen können zum Sammeln von Eicheln, Beeren und Pilzen eingesetzt werden. Ab 1915 sollen Schulklassen auch zur Bekämpfung von Obst- und Gemüseschädlingen beitragen. Mit Hilfe von Faltblättern lernen die Schüler im Biologieunterricht "Not- und Kriegsgemüse" wie Brennessel, Melde, Vogelmiere u.a. kennen und werden über die Zubereitung informiert.
Im weiteren Verlauf des Krieges wächst die Zahl der Sammelaktionen und Sammelobjekte: Bucheckern zur Ölgewinnung, die Beeren des Weißdorns zur Herstellung von Kaffeeersatz, Altmetall und Altgummi für die Rüstungsindustrie, Laubreisig als Viehfutter. In einem Aufruf des Regierungspräsidenten lesen wir schließlich: "So muß es denn jetzt, so bitter das auch mit Rücksicht auf die Geistesbildung unserer Kinder sein mag, heißen: Brot ist wichtiger denn Bildung. Auch die Schule muß unter Hintansetzung ihrer unterrichtlichen Ziele die ganze Willens- und Arbeitskraft von Lehrern, Lehrerinnen und Kindern zusammenfassen und den wirtschaftlichen Sieg erringen helfen." Dazu wird der tägliche Unterricht in Landschulen auf drei Stunden reduziert, damit die Kinder noch intensiver in der Landwirtschaft helfen können. "In den Städten und halbländlichen Orten sind, wo immer es möglich und rätlich erscheint, Arbeitskommandos von Schulkindern einzurichten." betroffen sind Schüler ab der 5. Klasse. Lag ihr Arbeitseinsatz mit fünf Stunden am Vormittag, fiel für sie der Nachmittagsunterricht aus. Die Maßnahme wird mit der Hoffnung verbunden, daß sie "wesentlich dazu beitragen werde, den Aushungerungsplan unserer Feinde zu Schanden zu machen."
Eine andere Einflußgröße auf das Leben in und außerhalb der Schule läßt sich in ihrer Wirkung heute nur noch erahnen. Das Nachdenken darüber kann sich entzünden an der Vorstellung der Anzeigen, die ununterbrochen vier Jahre lang derer gedachten, die den Heldentod für das Vaterland gestorben waren: die Väter und Brüder zahlloser Schüler und Schülerinnen und die Verwandten und Kollegen vieler Lehrerinnen und Lehrer.
Es ist unbegreiflich, daß alle diese Erfahrungen zwanzig Jahre später schon vergessen gewesen sein sollten.
Gedenktafel für gefallene Lehrer